Tropfen in der Mitte einer Sonnenblume

Eine Perle! Nicht in einer Auster, sondern in der Mitte des Blütenkorbs einer kleinen Sonnenblume. Wie kommt die dahin?

Zunächst hielt ich das Kügelchen für einen Wassertropfen, der durch durch die Anordnung der fein behaarten, wasserabweisenden Spreublätter im Körbchenboden an Ort und Stelle gehalten wird. Doch als die Perle am nächsten Tag unverändert war, musste ich einsehen, dass es sich um eingedickten Pflanzensaft handelte, sozusagen "Sonnenblumenharz". Seine nahezu perfekte Kugelform verdankt der Tropfen wohl denselben physikalischen Eigenschaften, die auch hinter dem Lotuseffekt stecken: Auf sogenannten superhydrophoben Oberflächen ist der Kontaktwinkel zwischen einem Wassertropfen und dem Untergrund größer als 90 Grad; die Kontaktfläche wird minimiert. Solche Oberflächen nennt man "nicht benetzbar". Sie zeichnen sich durch zweierlei aus: Erstens besteht ihre äußerste Schicht aus einer wasserabweisenden Substanz wie Wachs, und zweitens sind sie nicht glatt, sondern fein genoppt oder behaart, wodurch die Berührungsfläche noch kleiner wird.

Zum Vergleich wollte ich Wassertropfen auf eine normale hydrophobe Oberfläche aufbringen. Ohne weiter nachzudenken, tropfte ich daher etwas Sonnenblumenöl auf meinen Balkontisch, auf dem auch die Sonnenblume steht. Das ging allerdings schief: Wenn man das Öl nicht zu einer sehr dünnen Schicht verstreicht, sacken die Wassertropfen in den Ölfleck ein, da das spezifische Gewicht von Wasser etwas höher ist als das von Sonnenblumenöl:

 Wassertröpfchen auf bzw. in Sonnenblumenölfleck

Immerhin ergeben sich dabei durch die Krümmung der Ölfleck-Oberfläche und die Spiegelung des Himmels und des Balkons hübsche Muster, die man so ähnlich auch aus den Randbereichen von Fraktalen kennt.

Dann habe ich das Öl auf dem Tisch verstrichen und anschließend mit einer Wassersprühflasche benetzt. Die Tropfen sind sehr unregelmäßig geformt und unterschiedlich groß, aber man erkennt doch, dass der Kontaktwinkel an den meisten Stellen etwa 30 Grad beträgt (partielle Benetzung). Größer als 90 Grad wird er nirgends; die Tropfen haben ihre größte Ausdehnung dort, wo sie auf dem Untergrund aufliegen:

Wassertropfen auf eingeöltem Tisch

Hier und auf den folgenden Fotos ist der Unterschied zwischen partiell benetzbaren Oberflächen wie dem Tisch und unbenetzbaren Oberflächen wie den Unterseiten von Salbeiblättern gut zu erkennen:

Blattunterseite mit kleinen Wassertropfen

Die beiden kleinen Wassertropfen bilden auf dem Salbeihaarteppich nahezu perfekte Kugeln:

Blattunterseite mit Tropfen

Durch die Adhäsion und die Kohäsion (Oberflächenspannung) ballt sich das Wasser zusammen. Die Tropfen scheinen regelrecht über der "wasserfeindlichen" Blattoberfläche zu schweben:

Blattunterseite mit Tropfen

Wie groß die Berührungsfläche ist, hängt auch von der Masse des Tropfens ab. Der rechte Tropfen ist so groß, dass die Schwerkraft ihn abflacht und er notgedrungen stärker auf dem Blatt aufliegt:

Blattunterseite mit Tropfen

 

Blattunterseite mit Tropfen

Hier ein zweites Salbeiblatt, das etwas schwächer behaart, aber ebenfalls superhydrophob ist:

Blattunterseite mit Tropfen

Das Wasser, in dem das Blatt liegt, schmiegt sich dagegen mit einem sehr kleinen Kontaktwinkel an die Tischoberfläche, die offenbar - wenn ich sie nicht gerade mit Sonnenblumenöl einreibe - nicht besonders hydrophob ist:

Blattunterseite mit Tropfen

Die Blattoberseite hat eine andere Struktur als die Unterseite. Auf ihr bilden selbst kleine Tropfen keine perfekten Kugeln:

Blattoberseite mit Tropfen

Wo die Oberfläche leicht schräg steht, rollen die Tropfen zwar nicht ab, aber der Kontaktwinkel ist am oberen Rand deutlich kleiner (beim großen Tropfen etwa 45 Grad) als am unteren Rand (etwas über 90 Grad):

Blattoberseite mit Tropfen

Und mein nächstes Experiment mit Sonnenblumenöl und Salbeiblättern führe ich woanders durch: in der Küche.