Muster- und Strukturenratebild, Juli 2013

Muster des Monats 07/2013; (c) Stephan Matthiesen

(Zur Erklärung bitte Weiterlesen)

Sternenhimmel, klar - ein paar Sternbilder über meinem Garten. Auf den ersten Blick jedenfalls. Auf den zweiten Blick wundert man sich dann gewiss, warum ein paar der Sterne in der Hecke oder am Baum zu hängen scheinen. Und erfahrene Astronomen werden sich auch den Kopf zerbrechen, welche Sternbilder denn z.B. die hakenförmige Anordnung von fünf hellen Lichtern am oberen Bildrand oder die bogenförmige Konstellation im rechten Bildbereich eigentlich sind - haben wir hier zwei neue Sternbilder "Harpune" und "Zipfelmütze" entdeckt?

Ich habe den unteren Bildbereich abgeschnitten, denn beim vollen Bild denkt gewiss keiner mehr an einen Sternenhimmel - zu offensichtlich befinden sich die Leuchtpunkte vor der Hecke im Garten, nicht am Himmel:

Regentropfen; (c) Stephan Matthiesen

Die Aufnahme ist bei leichtem Nieselregen mit Blitz entstanden; die Punkte sind einfach Reflexionen von Regentropfen (das helle gelbe Licht auf der rechten Bildseite ist eine Straßenlaterne, die durch die Hecke scheint).

Warum erinnert der Gesamteindruck aber so stark an einen Sternenhimmel, warum meint man, "Sternbilder" zu erkennen? Regentropfen und Sterne zeigen praktisch dieselbe Anordnung. Die fallenden Regentropfen sind in der Luft zufällig im Raum verteilt. Wie hell sie dann im Blitzlicht erscheinen, hängt einerseits von ihrem Durchmesser ab, der bestimmt, wieviel Licht sie zurückwerfen, andererseits von ihrer Entfernung - näher liegende Tropfen erscheinen heller. Ebenso ist es bei den Sternen am Himmel. Im Weltraum sind sie im Wesentlichen zufällig verteilt (zumindest in der Umgebung des Sonnensystems, wo wir einzelne Sterne unterscheiden können). Und ihre scheinbare Helligkeit am Himmel hängt einerseits von ihrer tatsächlichen Leuchtkraft ab, andererseits von ihrer Entfernung. (Die scheinbare Helligkeit eines Objekts am Himmel wird übrigens von Astronomen verwirrenderweise auch "Größe" genannt, also aufgepasst beim Lesen von Sternführern!)

Gestaltwahrnehmung ...

So weit klar, dass die Anordnung von beleuchteten Regentropfen und von Sternen am Himmel qualitativ ziemlich ähnlich aussehen und wir bei dem Bild erst einmal an einen Sternhimmel denken, weil wir Sterne viel öfter sehen als geblitzte Regentropfen. Doch warum gibt es bei einer zufälligen Anordnung überhaupt Sternbilder oder auffällige Konstellationen, wie die "Sternbilder" (oder "Tropfenbilder") "Harpune" und "Zipfelmütze" im obigen Bild? Das ist eine Folge dessen, wie unser Wahrnehmungssystem die Welt interpretiert. Zufällig angeordnete Punkte verteilen sich keineswegs, wie man vielleicht zunächst denken könnte, gleichförmig und regelmäßig; vielmehr bilden sich schon zufällig immer wieder Häufungen und Lücken, weil die Punkte eben auch zufällig mal nahe beieinander liegen können. Unser Gehirn ist nun aber nicht auf die Wahrnehmung von zufälligen Punktmustern getrimmt, sondern darauf, aus oft unvollständigen Bildelementen wieder die tatsächlich vorliegenden Objekte zu rekonstruieren. Es fällt uns nicht besonders schwer, im obigen Bild das Haus als Haus zu erkennen, obwohl es überwiegend von der Hecke verdeckt ist. Im folgenden Bild sehen wir problemlos einen Gartenweg hinter einem Bäumchen, obwohl genau genommen nur zwei dunkle Flächen beiderseits einer strukturierten hellgraugrünen Fläche zu sehen sind:

Bäumchen; (c) Stephan Matthiesen

Das Wahrnehmungssystem im Gehirn setzt die beiden sichtbaren Wegstücke geradlinig fort und interpretiert sie als Teile eines einzigen Objekts, das teilweise verdeckt ist: offensichtlich eine lebenswichtige Fähigkeit, Dinge auch dann richtig zu erkennen, wenn man sie gar nicht vollständig sehen kann.

Diese Eigenschaft unseres Wahrnehmungssystems bezeichnet man als Gestaltwahrnehmung, und ihr liegen bestimmte Prinzipien zugrunde. So werden Objekte, die räumlich oder zeitlich nahe beieinander liegen, auch als zusammengehörig wahrgenommen (Prinzip der Nähe) und gebrochene Linien zu einem Ganzen geschlossen (Prinzip der Gestaltschließung), wie beim Gartenweg hier.

Bei Zufallsverteilungen wie den Sternbildern oder Tropfenanordnungen leiten uns nun genau diese nützliche Prinzipien der Gestaltwahrnehmung in die Irre. Die vier hellen Regentropfen am oberen Bildrand werden aufgrund ihrer Nähe als zusammengehörig interpretiert und zu einer einfachen Gestalt, einer (fast) geraden Linie, geschlossen. Tatsächlich wissen wir nicht einmal, ob die vier Tropfen im Raum überhaupt nahe beieinander liegen oder vielleicht einige Tropfen nahe der Kamera, andere weit weg - bei Sternbildern ist es oft der Fall, dass sie sich dreidimensional im Weltraum gar nicht nahe stehen.

Die Gestaltwahrnehmung täuscht uns auch noch in anderer Hinsicht: Viele der Punkte in der linken Bildhälfte scheinen im Baum zu sitzen, und zwei Lichter "hängen" an dem Pfosten etwas rechts der Bildmitte. Die Reflexionen der Tropfen liegen tatsächlich nur zufällig gerade vor dem Baumstamm, am Ende der Zweige, oder vor dem Pfosten, aber wir interpretieren dies unwillkürlich als bedeutungsvolle Zusammengehörigkeit.

Wahrnehmungsprinzipien, die meist sehr sinnvoll sind, können uns also sehr leicht dazu verleiten, eigentlich zufällige Ereignisse fälschlich miteinander in Beziehung zu setzen. Vor derartigen "illusionären Korrelationen" muss man sich stets in Acht nehmen, besonders in Situationen, in denen der Zufall eine Rolle spielt - vieles, was bedeutungsvoll erscheint, ist es gar nicht.

... oder Geister?

Zuletzt noch etwas ganz anderes: Die obigen Tropfenbilder entstanden eher versehentlich. Eigentlich wollte ich nachts im Garten andere Dinge fotografieren, und die Regentropfen wurden erst im Foto sichtbar - klar, ohne Blitz sieht man sie ja in der Natur auch nicht. Beim Fotografieren passiert es oft, dass im Bild Objekte erscheinen, die man nicht geplant hatte. Auch Insekten, die vor der Kamera vorbeifliegen, erscheinen nur als diffuse Flecken oder (bei Blitz) Lichtpunkte. Man nennt diese Erscheinungen "Orbs" oder "Geisterflecken" - Wikipedia erklärt ihr Entstehen genauer.

Andererseits gibt es aber auch eine ganz andere Interpretation: "Orbs werden (von vielen) als Geister in Form von Lichtbällen angesehen. Sie sind Lebensformen, die in Gruppen reisen, und sie gelten als die menschliche Seele oder Lebenskraft derjenigen, die einst einen physischen Körper hier auf Erden bewohnten (...) Geisterhafte Orbs sind die am häufigsten fotografierte Anomalie, die von Geisterjägern auf Film festgehalten werden. (...) Es ist nicht schwer, sie in ihrer runden Form aufzunehmen. Es gibt die Theorie, dass Geister die Form von Orbs (Lichtkugeln) annehmen, weil dies weniger Energie erfordert und daher von den Geistern bevorzugt wird", schreibt Geisterjäger Jim Eaton auf GhostStudy.com; er ist nur einer von vielen, die die Orbs so interpretieren. Eaton erwähnt aber fairerweise, dass es auch andere Interpretationen gibt: "Ich habe die Theorien gehört, dass Orbs ganz einfach Naturwesenheiten oder fliegendes Protoplasma ist, wie man es unter dem Mikroskop sieht, nur viel weiter entwickelt."

Warum nun in meinem schottischen Reihenhausgärtlein immer bei Regen so viele Geister, ob nun Seelen oder Naturwesen, herumhängen, erfordert sicher noch genauere Forschungen; vielleicht finde ich beim Kartoffelpflanzen ja noch einen Indianerfriedhof oder so etwas. Ich heiße jedenfalls meine lichtgestaltigen Gäste willkommen, denn "Geister sind gewöhnlich harmlos und haben relativ wenig Interesse, jemandem zu schaden; sie haben auch kein ausgeprägtes Bewusstsein für solche Taten" - im Gegensatz übrigens zu bösen Dämonen, die nie menschliche Form hatten, meint Geisterjäger Eaton.

Orbs; (c) Stephan Matthiesen