Muster- und Strukturenratebild, Mai 2011

rotes Netz

Wo findet sich diese Netzstruktur? Jeder hat sie schon einmal gesehen – aber vielleicht nicht bewusst wahrgenommen ...

(Zur Erklärung bitte weiterlesen.)

Vo außen sieht das Objekt, das die Netzstruktur birgt, so aus:

Detail mit Stielansatz

Genau: eine Gemüsepaprika. Am Ostermontag diente uns eine halbe, nicht mehr ganz kauffrische Paprika auf einer 23-km-Wanderung bei schönstem Frühlingswetter als Wegzehrung. Als wir am Nachmittag auf einer Bank pausierten, sprang mir das Muster regelrecht ins Auge, weil die Lichtverhältnisse den Unterschied zwischen den Rottönen der Polygone und ihrer Begrenzungen hervorhoben:

rote Gemüsepaprika von innen

Die Makrofunktion meiner neuen Kamera erlaubt uns noch tiefere Einblicke. Einige wenige Polygone sind prall gefüllt und erhaben; bei den meisten ragen aber die orange gefärbten Umrahmungen über die roten Felder hinaus:

Gemüsepaprika

Während die wulstigen Begrenzungen der langgezogenen Polygone aussehen, als wären sie mit einer gelblichen, leicht granulären Flüssigkeit gefüllt, und uns so an Adern erinnern, erkennen wir innerhalb der Polygone noch feinere Strukturen:

Nahaufnahme Gemüsepaprika

Die Urahnen der Gemüsepaprika (Capsicum anuum) stammen wie alle Nachtschattengewächse (Familie Solanaceae) aus Südamerika. Zur selben Gattung gehört auch die Art Capsicum frutescens, die wir als Chili oder Cayennepfeffer kennen. Capscium bedeutet "Kästchen" und bezieht sich auf die Früchte der Pflanzen. Obwohl wir im Alltag gerne von Paprikaschoten sprechen, handelt es sich tatsächlich um Beeren – genauer um Lederbeeren, weil sie mit der Zeit austrocknen und ihre Fruchtwand dabei ledrig wird. Beeren sind Einzelfrüchte (d. h. solche, die aus jeweils einer Blüte hervorgehen), genauer Schließfrüchte: Die Samen bleiben bis zur Verbreitung von der Fruchtwand umschlossen.

Diese Fruchtwand ist aus drei Schichten aufgebaut, die von außen nach innen als Exokarp, Mesokarp und Endokarp bezeichnet werden. Es liegt also nahe, die Polygone an der Innenseite der Gemüsepaprika als Endokarp anzusprechen. Die Rotfärbung kommt durch Carotinoide in den Chromoplasten (Farbplastiden) der Zellen des Meso- und Endokarps zustande. (Für die Schärfe von Paprika und Chili sind andere Inhaltstoffe verantwortlich, die Capsaicinoide, die in den Samen und in der Placenta – dem weißlichen Gewebe unterhalb des Stielansatzes – die höchste Konzentration erreichen.) Carotinoide sind lipophil, d. h. sie lösen sich in Fett und binden sich in den Zellen an die Membranen, da diese aus Lipiden bestehen.

Die bisher gezeigten Detailfotos erwecken den Eindruck, dass das Innere der Polygone im Endokarp besonders viele Carotinoide enthalte und daher satter rot gefärbt sei. Dass dem nicht so ist, sondern vielmehr die Carotinoide des darunter liegenden Mesokarps durchschimmern, zeigte sich erst, als ich heute eine frisch gekaufte Gemüsepaprika anschnitt. Hier eine dünne Scheibe vom unteren Ende der Beere im Durchlicht; in der Mitte Endokarp, an den Bildrändern Mesokarp:

dünne Paprikascheibe vorm Fenster

Siehe da: Das Innere der Polygone ist transparent und bei frischen Exemplaren prall mit einer Flüssigkeit gefüllt, wie die Luftblasen zeigen. Ob es sich um Flüssigkeitsspeicher handelt, die ein vorzeitiges Austrocknen der Samen verhindern sollen? Wenn man eine solche Endokarpschicht zwischen Daumen- und Zeigefingerkuppe nimmt und zudrückt, spürt man, wie die Behältnisse platzen – wie bei einer Noppenfolie.

Zum Abschluss soll eine Abbildung aus Franz Eugen Köhlers Medizinalpflanzenbuch (Gera 1883-1914, aus der hervorragenden Sammlung von Kurt Stüber) noch einmal verdeutlichen, wie die Paprikabeeren aus den weißen Blüten hervorgehen und wie sie aufgebaut sind:

Abbildung aus Köhler’s Medizinal-Pflanzen

Der Rest meines heutigen Studienobjekts wird morgen in den Salat geschnitten.