Muster- und Strukturenratebild, November 2010

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(Zur Auflösung und Erklärung bitte weiterlesen.)

Es gibt Doktorfische mit diagonalen und waagerechten blauen Streifen. Dies ist jedoch keine Makroaufnahme einer Fischflanke, sondern ein Falschfarbenbild, das ursprünglich so aussah:

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Spätestens das nächste Detail macht klar, welches Tier uns hier Modell gestanden hat:

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Es handelt sich um ein Grevyzebra im Kölner Zoo. Während man hier sehr schön sieht, wie sich das enge Streifenmuster am Hals nahtlos in der Stehmähne fortsetzt, ist im ersten und zweiten Bild ein um 90 Grad gedrehter Ausschnitt vom Rumpf zu sehen, und zwar vom Vorderbeinansatz. Jedes Tier ist etwas anders gestreift, ohne dass über diesem individuellen "Fingerabdruck" das Arttypische verloren ginge. Von den drei einzigen noch lebenden Zebraarten (Grevy-, Steppen- und Bergzebra) hat das Grevyzebra die engsten Streifen, und diese verlaufen auch im oberen hinteren Rumpfbereich überwiegend senkrecht. Beim Bergzebra finden sich hier stattdessen breite, überwiegend waagerechte Streifen. Beim Steppenzebra sind in der Mitte der weißen Streifen häufig zarte dunkle Schattenstreifen angedeutet.

Hier ein vollständiges Grevyzebra, an dem sich die je nach Körperregion unterschiedliche Fellmusterung studieren lässt:

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Wie aber kommt das Zebra zu seinen Streifen? Diese Frage ist inner- und außerhalb der Wissenschaft wohl ebenso alt und beliebt wie Spekulationen über die Flecken des Leoparden. Diskutiert werden vier mögliche Erklärungen, von denen bislang erstaunlicherweise nur eine ernsthaft überprüft wurde. Die Frage muss also nach wie vor als offen gelten – auch weil sich einige vermeintlich einfache Antworten bei näherem Hinsehen als unplausibel erweisen.

So ist zwar häufig zu hören oder zu lesen, die senkrechte Streifung diene der Tarnung bzw. senke die Gefahr, Fressfeinden zum Opfer zu fallen. Aber keiner der postulierten Tarnungsmechanismen hält einer kritischen Betrachtung stand: Die Streifen, so heißt es manchmal, machen die Tiere im hohen Savannengras fast unsichtbar. Wer Zebras beim Grasen beobachtet, hat jedoch nicht den Eindruck, als verhielten sich die Tiere besonders unauffällig; im Vergleich zu anderen potenziellen Opfern von Raubtieren sind sie recht laut, sie bilden große Herden und bewegen sich viel. Außerdem hat eine Fourieranalyse eines Grevyzebra-Fotos gezeigt, dass die Wellenlänge der Zebrastreifung sogar sehr dicht an den Wellenlängen liegt, die Raubkatzen besonders stark ins Auge fallen.

Nach einer Variante der Tarnungshypothese soll die Streifung zu einer optischen Täuschung führen: Gestreifte Objekte sollen größer wirken, als sie sind, sodass Raubtiere den Abstand zwischen sich und der ins Auge gefassten Beute unterschätzen und beim tödlichen Sprung zu kurz greifen. Allerdings werden Zebras von ihren Fressfeinden eher gehetzt als aus dem Hinterhalt angesprungen. Eine weitere Variante geht vom Herdenverhalten der Zebras aus: Die Tiere sind selten allein unterwegs. Könnte die Streifung nicht zu einem Verschwimmen und Verschmelzen der Konturen führen, die einen Angreifer verwirren – so, wie man es von manchen Fischschwärmen kennt? Durch die Stehmähne und den Aalstrich auf dem Rücken sind die Tiere aber aus den meisten Perspektiven und bei den meisten Sonnenständen auch dann gut zu unterscheiden, wenn sie dicht beieinander stehen:

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Zudem gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Zebras deutlich seltener gerissen würden als ähnliche Beutetiere ohne ein schwarz-weißes Streifenmuster. In manchen Situationen ist die Grenze zwar nicht ganz so klar, aber wenn Zebras verfolgt werden, pflegen sie sich nicht aneinanderzudrängen – dies geschieht nur beim Groomen, Spielen oder Kämpfen.

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Damit sind wir bei der zweiten Hypothese angelangt: Könnte das Streifenmuster soziale Vorteile mit sich bringen? Anekdotischen Berichten zufolge erhalten ungewöhnlich gemusterte Individuen mehr Aufmerksamkeit in Form von Fellknabbereien, also "Streicheleinheiten", als gewöhnliche Exemplare. Andererseits gibt es in der Gattung Equus neben den drei Zebraarten etliche Arten mit nicht gestreiftem Fell, beispielsweise die Wildesel, die ein ganz ähnliches Sozialverhalten an den Tag legen.

Hypothese drei: Das kontrastreiche Muster könnte der Thermoregulation, also der Abkühlung der Tiere dienen. Über den schwarzen Streifen, die sich demnach in der Sonne stärker aufheizen, soll warme Luft aufsteigen, über den weißen Streifen soll sie absinken, und durch diese walzenförmige Luftströmung soll die Körperwärme effektiver abgeführt werden. Warum aber hat der Afrikanische Esel in seinem zum Teil sehr heißen Habitat dann keine Streifen, das Bergzebra in seinem kühleren Lebensraum hingegen wohl?

Die derzeit plausibelste Erklärung für die Zebrastreifen wurde 1981 von dem Insektenkundler J. K. Waage vorgeschlagen. Er ging von der Beobachtung aus, dass grasende Huftiere sehr unter Fliegen, Mücken und anderen Plagegeistern zu leiden haben, die Blut saugen oder Krankheiten wie die Schlafkrankheit oder die Tierseuche Nagana übertragen. Sie erwehren sich dieser Attacken durch ihren Schweif, durch gegenseitiges Groomen und ständiges Umherziehen – und vielleicht auch durch ihr Fellmuster. Jedenfalls saugen Tsetsefliegen erheblich seltener Zebrablut als das Blut anderer Huftiere im selben Lebensraum. Die Fliegen orientieren sich aus der Ferne optisch und aus der Nähe am Geruch der Säugetiere. Offenbar fühlen sie sich optisch zu großen, einheitlich hell oder dunkel gefärbten Flächen hingezogen. Vielleicht lösen ihre Facettenaugen das Streifenmuster so schlecht auf, dass sie die Zebras nicht als potenzielle Nahrungsquellen erkennen. Gerade wenn Zebras, wie häufig zu beobachten, gemeinsam mit Gazellen oder anderen ungestreiften Tieren weiden, werden sie seltener gestochen als diese.

Bezeichnenderweise ist das Burchell-Zebra – eine Unterart des Steppenzebras, deren Verbreitungsgebiet sich weitgehend mit dem der Tsetsefliege deckt – zugleich das einzige Zebra, das auch am Bauch gestreift ist, während die Bäuche der Berg- und der Grevyzebras weiß sind. Auch Steppenzebras, die südlich des Tsetsefliegen-Gebietes leben, sind weniger kontrastreich gefärbt als ihre nördlichen, stärker gefährdeten Artgenossen. Das vom Menschen ausgerottete Quagga schließlich, das in weitgehend tsetsefliegenfreien Regionen lebte, wies nur am Kopf und Hals Streifen auf.

Die Frage, wie das Zebra zu seinen Streifen kommt, lässt sich natürlich nicht nur evolutionsbiologisch beantworten, sondern auch entwicklungsbiologisch. Aller Wahrscheinlichkeit nach entsteht das Muster in der Haut des Zebraembryos durch ein Wechselspiel zwischen biochemischen Aktivatoren und Inhibitoren, das sich durch Reaktions-Diffusions-Gleichungen modellieren lässt. Durch Vergleiche zwischen Simulationsergebnissen und Fotos atypisch gemusterter Zebras konnte auch geklärt werden, dass Zebras weiße Streifen auf schwarzem Grund tragen und nicht etwa umgekehrt: eine Frage, die den meisten Zoobesuchern gleichgültig sein, mathematisch interessierten Biologen aber schon viele schlaflose Nächte bereitet haben dürfte.