Muster des Monats 09/2015; (c) Stephan Matthiesen

Was sieht man hier?

Wir befinden uns auf der Hamburger Hallig, einer Halbinsel in Nordfriesland. Sie ist nicht eingedeicht, befindet sich also vor dem Deich, der das Land bei Sturmfluten schützt. Das folgende Bild ist vom Deich aufgenommen; rechts liegt die Hallig, links der in den 1920er-Jahren geschaffene Sönke-Nissen-Koog - "Koog" bezeichnet Marschland, das durch Eindeichung oder Entwässerung aus dem Meer gewonnen wurde.

Deich an der Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Sehr flache Landschaften sind immer schwer zu fotografieren, aber man erahnt den Querschnitt des Deiches, der an der Vorderseite (rechts, dem Meer zugewandt) sehr flach ist, sodass Wellen bei einer Sturmflut auslaufen; die Rückseite ist etwas steiler. Das Gras auf dem Deich wird sorgfältig gepflegt und mit Schafen kurz gehalten, um die Oberfläche gegen Erosion zu schützen.

Das Land vor dem Deich befindet sich in der Gezeitenzone. Als Halligen bezeichnet man Inseln - oder Halbinseln wie die Hamburger Hallig -, die zwar über dem mittleren Tidehochwasser liegen, also im Laufe der täglichen Gezeiten nicht überflutet werden, bei Springtiden oder Sturmfluten jedoch unter Wasser stehen können; Wissenschaftler bezeichnen diesen Teil der Gezeitenzone auch als Supralitoral in Abgrenzung zum Eulitoral (der Zone zwischen Hoch- und Niedrigwasser, die mehrfach täglich überflutet wird) und dem Sublitoral (der Zone unter Wasser, die gelegentlich bei extremen Niedrigwasser trocken fällt).

Die supralitorale Zone ist von Salzwiesen geprägt, in denen Gräser wachsen, die auch die gelegentliche Überflutung mit Salzwasser gut überstehen. Im Hintergrund des folgenden Bildes ist die Hauptwarft der Hallig zu sehen - eine Warft ist ein einige Meter hoher künstlicher Siedlungshügel, der Häuser bei Sturmfluten schützt:

Salzwiese Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Dazwischen befinden sich immer wieder tiefer gelegene Rinnen ohne Gras, in denen man sieht, dass der Boden der Hallig vor allem aus Schlick besteht, einem feinkörnigen Lockersediment mit Korngrößen unter 0,06 mm. Hier sieht man im Hintergrund wieder den Deich und eine Menge Windkraftanlagen:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Damit kommen wir langsam wieder zum Ausgangsbild zurück. Wenn der Schlick trocknet, schrumpft er etwas, und dabei entstehen Trocknungsrisse, die den Schlick wie Netzwerke überziehen:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Das Muster dieser Schrumpfungsrisse ist keineswegs regelmäßig, aber es gibt eine typische Größenordnung - die einzelnen Schollen haben alle ungefähr die gleiche Größe:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Der Grund für die typischen Größen liegt in der Mechanik des Risswachstums: In einer großen Scholle sind die mechanischen Spannungen beim Schrumpfen größer, sie wird also leicht neue Risse entwickeln und sich in kleinere spalten, kleine Schollen dagegen spalten sich nicht weiter. An einer anderen Stelle kann man ein früheres Stadium des Risswachstums beobachten; hier haben sich die einzelnen Risse noch nicht zu einem Netzwerk vereinigt:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

Man erkennt, dass Risse oft an einer Stelle als dreiarmige Sterne beginnen und sich dann fortsetzen, bis sie auf andere stoßen:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen

So weit zu den Rissen - aber was sind all die dunklen Punkte, die man ebenfalls auf den Bildern sieht? Dummerweise habe ich damals beim Fotografieren nicht besonders auf sie geachtet und sie mir nicht genauer angesehen oder einmal nachgegraben; erst jetzt beim Schreiben dieses Monatsmusters sind sie mir aufgefallen. Im Watt gibt es natürlich allerlei Würmer und andere Tiere, die Löcher hinterlassen - siehe etwas das Muster des Monats, 02/2011. Allerdings glaube ich in diesem Fall nicht an Tierspuren. Die Verteilung dieser Löcher passt nicht zu Würmern - Würmer halten Abstand voneinander, sodass ihre Gänge eher gleichmäßig verteilt erscheinen. Hier jedoch sind deutliche Häufungen sowie weniger dichte Areale zu erkennen, wie sie für unabhängige Zufallsverteilungen typisch sind - das haben wir im Muster des Monats, 07/2013 anhand von Sternbildern und Regentropfen genauer diskutiert.

Ich tippe daher auch hier auf die Abdrücke von Regentropfen. Und tatsächlich, wenn ich die Bilder in voller Größe ansehe, erscheinen die Punkte eher wie kleine Mulden, und sie sind offensichtlich unterschiedlich tief, ganz wie man es von Regentropfen erwarten würde:

Schlick auf Hamburger Hallig; (c) Stephan Matthiesen